Jordi erzählt beim Frühstück etwas über die bewegende Geschichte seiner Familie. Er ist Katalane und in Frankreich geboren. Sein Vater war Interbrigadist und verteidigte die Spanische Republik und musste nach dem Sieg Francos nach Frankreich fliehen.
Im 2. Weltkrieg kämpfte er gegen die deutschen Faschisten. Nach dem Krieg, in den 50er Jahren, organisierte er den bewaffneten Widerstand gegen Franco von Frankreich aus. Nach dem Krieg wollte die französische Regierung diesen Widerstand gegen Franco unterbinden. Sie startete die Aktion „Bolero Paprika“. Die Menschen, die sich für ein demokratisches Spanien engagierten und gegen Franco kämpften, wurden verhaftet und aus dem Land gewiesen. Jordis Vater wurde mit Handschellen gefesselt in die DDR abgeschoben. Seine Mutter blieb mit ihren drei Kinder und ihrer anarchistischen Großmutter in Frankreich, bis der Vater sie in die DDR holte. Jordi ging in der DDR zur Schule, studierte an der DHfK in Leipzig Kampfsport, wurde Dolmetscher und später Automatisierungsspezialist. Jordis einer Onkel kämpfte in der Roten Armee und
der andere in der US-Armee gegen Hitler.
Katalonien ist eine grenzübergreifende Region (Spanien, Frankreich). Es leben rund 7 Mio. Katalanen in der Mittelmeerregion. Wie viele außerhalb des Landes leben, weiß wohl keiner. Auch wenn es ein kleines Volk ist, gibt es eine eigene Literatur, sagt mir Jordi, und fast jedes berühmte Buch wird auch ins Katalanische übersetzt. Im französischen Teil gibt es weniger Probleme als auf der spanischen Seite. In Spanien gibt es katalanische Parteien, in Frankreich nicht. Die spanischen Katalanen kämpfen immer noch für mehr Autonomie. In Frankreich ist das kein Thema. Das ist nicht verwunderlich, war doch die Autonomie in Spanien immer wieder in Gefahr. In der Spanischen Republik bekam Katalonien seine Autonomie, Franco nahm sie den Katalanen wieder. Die Sprache war in Wort und Schrift unter Franco verboten. Jetzt ist die Autonomie sehr weit reichend geregelt, doch einigen Katalanen reicht das noch nicht. Sie wollen die vollständige Unabhängigkeit von Spanien und hoffen auf die EU. Sie wollen eine unabhängige Region in Europa sein. Man muss dazu wissen, dass der Lebensstandard in Katalonien höher ist als in Spanien und die Katalanen wahrscheinlich auch ohne Spanien ganz gut überleben
könnten. Die Basken waren während der Spanischen Republik untereinander so zerstritten, dass es ihnen nicht gelang, eine Autonomie für das Baskenland zu erreichen.
Gleich nach dem Frühstück beginnen wir mit der Vorstellungsrunde. Jeder sagt etwas zu seinem Projekt und zu seiner Person.
Tim kommt aus Mecklenburg-Vorpommern
Er geht in Gadebusch zur Schule. (Schon der Liedermacher Biermann ging auf diese Schule.) Tim berichtet von der Verteilung von Nazi-CDs auf dem Schulhof. Verschiedene Gruppen fanden sich zusammen, um den Nazis etwas entgegenzusetzen. Sie organisierten ein Friedensfest und gründeten einen Verein für Kultur und Toleranz. Tim gehört zu den Organisatoren des Friedensfestes und wurde von den Abgeordneten Dietmar Bartsch und Martina Bunge nominiert.
Annika kommt aus Brandenburg
Sie hat am 20 April ihre Abiturprüfung, trotzdem wollte sie sich diese Reise nicht entgehen lassen. Sie spielt in dem Theaterstück „Woran ich glaube“ eine Hauptrolle. Im Januar dieses Jahres wurde das Stück das erste Mal aufgeführt. Über 250 Gäste kamen in das Gymnasium auf den Seelower Höhen. Da hat schon manches Berliner Theater Schwierigkeiten mitzuhalten. Beeindruckt war Annika von einer ganz besonderen Aufführung: In die JVA Wriezen. Doch die anfänglichen Ängste, die von einigen Wachleuten geschürt wurde, waren unbegründet. Die jungen Insassen fanden das Stück gut und gingen richtig mit. Annika wurde von der Abgeordneten Dagmar Enkelmann nominiert.
Daniel und Rio kommen aus Brandenburg
Sie haben ein Video gegen rechte Gewalt gedreht. Anlass waren Pöbeleien gegen Ghanaer in ihrem Ort. Der Film setzt sich mit üblichen Vorurteilen auseinander. Er ist sehr witzig gemacht. Es ist ein vierminütiger Stummfilm mit Untertiteln und typischer Stummfilmmusik. Beide Gewinner wurden von den Abgeordneten Kirsten Tackmann und Diana Golze für die Reise nominiert.
Kathleen und Fabian kommen aus Berlin
Cathleen und Fabian waren an der Erarbeitung eines Zeitzeugenfilms über Eleonore Hertzberger mit dem Titel „Durch die Maschen des Netzes“ beteiligt. Frau Hertzberger lebt jetzt in der Schweiz. Sie ist aus Deutschland vor den Nazis über Spanien nach England geflohen. Sie hat mit Freunden Englandreisen für Verfolgte organisiert. Beide Gewinner wurden von Gesine Lötzsch nominiert.
Marco kommt aus dem Bundesland NRW
Marco ist in einer Ausbildung als Erzieher. In Gütersloh hat er eine Kampagne „Schöner Leben ohne Nazis“ organisiert. Stadtbekannte Nazis wurden zu Hause besucht. 60 Jugendliche zogen mit Handzetteln und Megaphon los und informierten die Nachbarn über die Nazis in ihrem Kiez.
Marco wurde von der Abgeordneten Inge Höger nominiert.
Ines kommt aus Hamburg
Ines geht an eine Gesamtschule mit 1.500 Schülern, darunter ein stadtbekannter Neonazi. Nazi-CDs werden auf dem Schulhof verteilt. Jude ist als Schimpfwort üblich. Geschichte kann man als Fach abwählen. Ines hat sich damit nicht abgefunden. Sie hat u.a. Gestapo-Protokolle aus ihrem Stadtteil besorgt, verarbeitet und szenisch verarbeitet. Mit dem Projekt hat sie sich für den Betini-Preis beworben. Sie bekam von der Jury einen Zweizeiler: bemerkenswerter Beitrag, aber zu aktionistisch. Ihr Geschichtslehrer hat sie auf unseren Wettbewerb hingewiesen. Sie reichte ihre Arbeit ein und gewann. Sie bat Tinko um ein offizielles Schreiben an den Direktor der Schule, dass sie den Wettbewerb wirklich gewonnen hat. In der Schule gibt es kein wirkliches Interesse an politischen Themen. Schwerpunkt ist Musik. Als der Direktor das Schreiben aus dem Bundestag bekam, war er dann doch etwas beeindruckt. Der Abgeordnete Lutz Heilmann hat Ines nominiert.
Felix kommt aus Berlin
Er ist das jüngste Mitglied des Vereins der ehemaligen Spanienkämpfer (KFSR). Felix hat im KZ Buchenwald recherchiert, welche spanischen Kämpfer im KZ Buchenwald eingesperrt waren. Es
waren insgesamt 414. Der Urgroßvater von Felix war auch Spanienkämpfer. Die Abgeordnete Gesine Lötzsch hat Felix nominiert.
Nicole kommt aus Berlin
Sie hat mit ihrer Klasse sieben Jahre lang ein Kinderheim in Weißrussland mit Geld- und Sachspenden
unterstützt. Jedes Jahr fuhr Sie mit Lehrern und Schülern in das Kinderheim und überbrachte die Spenden. 20 Kinder aus dem Kinderheim kamen jedes Jahr nach Deutschland. Mit dem Projekt ist Nicoles Schule „Unesco-Schule“ geworden. Nicole hat bereits die Schule abgeschlossen und wird jetzt zur Erzieherin ausgebildet. Die Abgeordnete Gesine Lötzsch hat Nicole nominiert.
Casim kommt aus Schleswig-Holstein
Er organisiert Friedensfeste. Eine ganz besondere Innovation ist die Bonbonschleuder. Wie sie funktioniert, habe ich noch nicht so richtig verstanden. Casim hat versprochen, dass er uns
eine Bauanleitung schickt. Casim wurde vom Abgeordneten Winkelmeier nominiert
Steffen kommt aus Sachsen
Er ist Heilerziehungspfleger. Steffen macht Bildungsarbeit für geistig behinderte Jugendliche. Er wollte mit seinem Projekt für Behinderte die jüdische Religion begreifbar machen. Er hat
mit den Jugendlichen jüdisch gekocht und die Synagoge in Dresden besucht. Steffen wurde von der PDS-Landtagsfraktion in Sachsen nominiert.
Till kommt aus Niedersachsen
Till ist der jüngste Teilnehmer unserer Reise. Er ist erst 15 Jahre alt. Er ist in einer Antifa-Gruppe aktiv.
Till hat mit Freunden Flyer und Buttons produziert und verteilt, um gegen die staatliche Verfolgung eines Händlers zu protestieren, der Anti-Hakenkreuz-Symbole vertrieben hat. Er und viel andere Menschen hatten Erfolg! Die Anklage gegen den Händler wurde fallen gelassen. Till wurde durch den Abgeordneten Diether Dehm nominiert.
Alle Abgeordneten haben für die Nominierung eines Teilnehmers 500 € gespendet.
Nach der Vorstellungsrunde machten wir uns auf den Weg in die Stadt Collioure. In der dortigen Festung hatten die Franzosen Interbrigadisten ohne Gerichtsverhandlungen und gegen alle französischen Gesetze eingesperrt. Es waren in der Regel Funktionäre der Spanischen Republik. Nachdem die Interbrigadisten aus Spanien abziehen mussten, kamen sie nach Frankreich und wurden dort sofort an der Grenze entwaffnet und in Internierungslager eingesperrt. Die wichtigsten Köpfe wurden aus den Internierungslagern in die Festung nach Collioure gebracht. Linke Abgeordnete
des französischen Parlaments protestierten gegen die Behandlung der Interbrigadisten und forderten ihre Freilassung. Kommunistische Anwälte kamen nach Collioure, um Zugang zur Festung zu bekommen. Der Druck wurde so groß, dass die Regierung die Interbrigadisten aus der Festung entlassen musste. Darüber wird in Frankreich noch heute nicht gern gesprochen. Erst vor wenigen Jahren wurde eine Tafel in der Festung enthüllt.
Mittag in Port-Bou. Wir essen wunderbare Sardinen. Die besten, die ich je gegessen habe: kross gebraten, mit viel Knoblauch und gutem Oliven-Öl. Vor allem sind sie ganz frisch. Ich bin schon nach der Vorspeise satt.
Das Grab des Philosophen Walter Benjamin ist auf dem Friedhof von Port-Bou. Man sagt, dass er Selbstmord begangen habe. Eine Auslieferung an die Gestapo drohte, da nahm er sich das Leben. Vor dem Friedhof ist ein Denkmal für Walter Benjamin geschaffen worden. Es ist eine Metalltreppe, die zum Meer führt. Zum Teil ist die Treppe in einem Schacht eingefasst und öffnet sich zum Meer hin. Sie wird von einer Glasscheibe unterbrochen, auf der die letzten Worte von Benjamin stehen. Ein wirklich ungewöhnlich schönes Denkmal. Überhaupt fallen mir die ungewöhnlich schönen Denkmale in Katalonien auf.
Auf dem Rückweg kaufen wir im Supermarkt ein und dann geht es zurück in die Herberge. Der Herbergsvater grillt für uns riesige Fleischstücke. Ich habe noch keinen Hunger, esse aber trotzdem. Neben mir sitzt Cathleen. Sie macht ihr Abitur in diesem Jahr. Nebenbei arbeitet sie bei „New Yorker“ an der Kasse. Sie will nach dem Abi mit ihrem Freund nach Kiel ziehen und dort Medienwissenschaften und Politik studieren.
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