Samstag

Ausschlafen. Frühstück gibt es erst um 9.00 Uhr. Wir laufen mit dem Bürgermeister durch eine wunderschöne Stadt. Alles ist liebevoll restauriert. Die Kirche ist ein wahres Prachtstück. Wenn man vor ihr steht und genau hinschaut, dann fällt einem auf, dass die Uhr am linken Turm etwas schief hängt. Die Uhrzeit stimmt nicht. Sie ist um 14.30 Uhr stehen geblieben, als am 13. Dezember 1943 die Kirche brannte. Die Wehrmacht hatte die ganze Stadt angezündet, samt der Kirche. Sie brannte bis auf die Grundmauern ab.

Der Bürgermeister führt uns zu einem Haus aus dem 14. Jahrhundert, das heute als Kulturhaus dient. Hinter sehr dicken Mauern schauen wir uns den WDR-Film „Kalavryta“ von Eberhard Rondholz an. Er, der perfekt griechisch spricht, hatte vor mehr als 26 Jahren einen Film über den gleichnamigen Ort gedreht. Damals wussten in der Bundesrepublik nur die schweigsamen Täter von diesem Massaker. Eberhard Rondholz war mehre Male durch Griechenland gereist, doch niemals hatte ihm jemand etwas über die Massaker in Griechenland erzählt. Die deutschen Reiseführer gaben über die grausame Besatzung der Deutschen keine Auskunft. Auch die Griechen äußerten sich nicht zu diesem Thema gegenüber den deutschen Touristen. Der Film zeigt eine Stadt, die es heute nicht mehr gibt. Sie war in den 80er Jahren noch durch den Krieg gezeichnet. Wir sehen alte Frauen mit schwarzen Kopftüchern, die vor abgebrannten Ruinen stehen und nur widerwillig über ihr grausames Schicksal sprechen. Ihre Männer, Brüder, ihre gesamten männlichen Verwandten wurden von der Wehrmacht am 12. Dezember 1943 erschossen. Am Morgen wurden alle Bewohner der Kreisstadt aus den Häusern befohlen. Die Männer sollten eine Decke und Proviant für einen Tag mitbringen. Vor der Volksschule sammelten sich die Menschen. Dem Bürgermeister und dem Popen wurde versichert, dass keiner erschossen wird. Der zuständige Wehrmachtsoffizier gab sein militärisches Ehrenwort. Die Männer und Jungen ab dem 12. Lebensjahr wurden von den Frauen und Kindern getrennt. Sie wurden auf einen Hügel geführt und dort mit Maschinengewehren niedergemäht. 13 von 420 Einwohnern überlebten die Erschießung. Die Frauen, Greisinnen und Kinder wurden in die Schule gepfercht und danach wurde die Schule angezündet. Im Schulgebäude brach eine Panik aus. Eine alte Frau wurde tot getrampelt. Die Frauen und Kinder flüchteten über die Fenster ins Freie. Nach dem Abzug der Wehrmacht gingen die Frauen zum Exekutionsplatz und fanden ihre toten Männer, Väter und Söhne. Mit bloßen Händen kratzten sie den gefrorenen Boden auf, um ihre Verwandten zu begraben. Die Frauen mussten im tiefsten Winter, ohne ein Dach über dem Kopf, das Überleben organisieren. Unterstützung durch die griechische Regierung, die von Hitler eingesetzt war, gab es nicht. Aristomenis Syngelakis, ein Vertreter des Nationalrates, berichtet von seiner Großmutter, die das Massaker als junges Mädchen erlebt hat. Sie hat den Schmerz nie überwinden können. Noch heute muss sie weinen, wenn sie von Touristen auf Deutsch angesprochen wird. Die deutsche Sprache ist für sie mit dem Massaker unauflösbar verbunden.

 

Der Bürgermeister ist auch Präsident der Märtyrerstädte. 85 griechische Orte, die unter der Besatzung besonders schlimm zu leiden hatten, haben sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. 80 von den 85 Orten wurden durch die deutschen Besatzer verwüstet, 5 Orte von den italienischen und bulgarischen Besatzern zerstört.

Der Bürgermeister führt uns durch das Museum der Stadt. Es ist die alte Volksschule, in die die Frauen und Kinder von der Wehrmacht getrieben wurden. Die Stadt machte aus der Schule ein Museum.

 

In der Gedenkstätte

 

Mit dem Bus fahren wir zur Gedenkstätte und legen Blumen nieder. Nach dem Mittagessen geht es zurück nach Athen. Die Vertreter des Nationalrates warten in einem kleinen Restaurant auf uns. Manolis Glezos empfängt uns. Er ist ein griechischer Volksheld. Er holte - unter den Augen der Wehrmacht - mit seinem Freund die Nazi-Flagge von der Akropolis, hisste die griechische Flagge und gab damit das Signal für den Kampf gegen die Besatzer. Der 86jährige legt uns knapp und konzentriert die Forderungen des Nationalrates dar: 1. Rückgabe der archäologischen Gegenstände, die durch die SS und die Wehrmacht gestohlen wurden. 2. Rückzahlung einer Zwangsanleihe, die Hitler von Griechenland abgepresst hatte. 3. Reparationszahlungen, die mit dem Londoner Abkommen von 1953 bis zu einem Friedensvertrag zurückgestellt und bis heute noch nicht an Griechenland gezahlt wurden. 4. Entschädigung für die Hinterbliebenen der Opfer der Massaker.

 

Hinterbliebene haben in Griechenland, in der Bundesrepublik, in Italien und vor dem Europäischen Gerichtshof auf Entschädigung geklagt. Ihre Forderungen wurden fast überall abgelehnt, nur in Italien gibt es einen Lichtblick. Dort hat ein Gericht den Klägern Recht gegeben. Sie dürfen jetzt ihre Forderungen durch Pfändung von deutschem Eigentum in Italien durchsetzen.

 

In dem anschließenden Gespräch verweist Konstantin auf das Wirken der NPD in der Bundesrepublik und auf die NPD-Verbotsdiskussion unter den Linken. Tobias beklagt das unzureichende Wissen der Deutschen über die Massaker. In den Schulbüchern stünde nichts zu diesem Thema. Obwohl er geschichtsinteressiert sei, wusste er vor der Reise nichts über diese Massaker in Griechenland.

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