Gedenken zwischen Wäscheleinen

Es ist ruhig in Staro Sajmište. Zwischen heruntergekommenen länglichen Wohngebäuden spannen Leinen, auf denen die Kleider der Bewohner in der Sonne trocknen. Auf der Freifläche in der Mitte der Wohnblocks steht das Gras zu beiden Seiten hoch. Hier parkt ein weißer LKW und finden Hühner Auslauf. Einige der Mieter, die vor ihren Wohnungen auf weißen Plastikstühlen sitzen, beobachten die deutsche Reisegruppe argwöhnisch. Überragt wird die Szenerie von einem alten Turm, vielleicht ein Sendeturm, in der Mitte des Geländes. Vom ihm bröckelt der Putz, die Fenster auf Bodenhöhe sind eingeschlagen und mit Spanplatten nur notdürftig verstärkt. Ringsum liegen unfertige, verwitterte Figuren, eigentümlich verformte Metallgegenstände und bemalte Stellwände, sodass der Turm auf den flüchtigen Betrachter den Eindruck einer lange verlassenen Requisitenwerkstatt macht.

An das Konzentrationslager Staro Sajmište in dem 6500 Juden, 650 Roma und 1000 Partisanen den Tod fanden, erinnert heute wenig. Zum Weiterlesen klicken sie bitte auf mehr lesen... 

Auf dem Areal der sog. Alten Messe wurde in den 30er Jahren ein modernes Ausstellungs- und Messegelände errichtet. Später dienten die Messepavillons der deutschen Gestapo von Oktober 1941 bis Juli 1944 als Barackenunterkünfte für die Häftlinge des Sammel- und Vernichtungslagers. In seiner ersten Phase war „Staro Sajmište“ ein sogenanntes Judenlager und im deutschen Sprachraum auch als Judenlager Semlin bekannt. Zu den Lagerinsassen gehörten vor allem jüdische Frauen und Kinder aus Belgrad und dem Banat. Die Lebensbedingungen im Lager waren katastrophal. Ein Großteil der Gefangenen starb an Hunger und Erschöpfung oder an einer der grassierenden Krankheiten. Die übrigen Insassen wurden von der SS ermordet. Diese bediente sich dazu eines mobilen Gaswagens. Als normaler LKW getarnt, wurde so den Gefangenen der Eindruck vermittelt, er diene nur Transportzwecken. Über den wahren Zweck der Fahrten getäuscht, verknüpften nicht wenige Gefangene mit dem Wagen die Hoffnung, das Lager zu verlassen und meldeten sich freiwillig für einen der „Transporte“ an.

Diese verliefen stets nach dem gleichen Schema.

Der Transporter verließ das Lager in Richtung Belgrad. Nach wenigen hundert Metern normaler Fahrt stieg der Fahrer aus und bediente eine Vorrichtung. Diese hat den Zweck, die Abgase in den Innenraum des LKWs einzuleiten. Der Transporter setzte dann seine Fahrt durch die Straßen Belgrads fort.  Für die Insassen begann ein langer qualvoller Todeskampf, der sich über bis zu 20 Minuten hinziehen konnte. Wenige Kilometer hinter den Stadtgrenzen Belgrads wurden die Türen wieder geöffnet, die Leichen aus dem Laderaum geholt und in Massengräbern verscharrt. Auf diese grausame Weise sollen in Staro Sajmište bis zu 1000 Menschen ermordet worden sein. Die genauen Opferzahlen sind nicht bekannt, da die Nazis in den Jahren 1943 – 1944 die Leichen exhumierten und verbrannten, um die Spuren ihrer Verbrechen zu beseitigen.

In der zweiten Phase diente das Lager der Internierung von Partisanen, bevor diese zur Zwangsarbeit nach Deutschland verbracht wurden. Den Bedingungen im zentralen Durchgangslager fielen abermals Tausende zum Opfer.

Die alltägliche Beiläufigkeit, mit der Menschen seit 70 Jahren an diesem Ort wohnen und arbeiten, ohne von der Geschichte Kenntnis zu nehmen, steht im krassen Gegensatz zu den Gräueln des Lagers.

Doch ist es gerade diese vollkommene Abwesenheit von Gedenken, die den Ort für den Besucher umso eindrücklicher gestaltet. Trotzdem war es rückblickend betrachtet ein schwerer Fehler, dass der Ort des Schreckens nicht konserviert wurde. Das Lager wurde im Mai 1944 bombardiert und die Ruinen nach Kriegsende abtransportiert. Nach der Staatsgründung Jugoslawiens entstand dann jenseits der Save der sozialistische Musterstadtteil Neubelgrad. Auch auf dem Areal des ehemaligen Konzentrationslagers wurden daraufhin Notunterkünfte für die Ärmsten der Armen errichtet, die nach den Zerstörungen des Krieges dringend eine neue Bleibe brauchten. Der Turm, das ehemalige Verwaltungsgebäude der Messe, diente später als Zentrale der freiwilligen Jugendaufbaubrigaden. In den 50ern wurde er als staatlich gefördertes Künstleratelier genutzt, indem zeitweise einige der renommiertesten Künstler Jugoslawiens wirkten.

Erst 1971 wurde endlich ein erstes, aber eher unscheinbares Denkmal errichtet. Hier legten wir einen Kranz für die Opfer des Lagers nieder. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn Staro Sajmište endlich zur Gedenkstätte erhoben würde und ein Ort entstünde, der gleichermaßen über die Geschichte des Lagers informiert und dem Gedenken der Opfer dient. Solange es darüber in Serbien aber keinen wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Konsens gibt und die verschiedenen Opfergruppen nicht zueinanderfinden, muss dieser Wunsch vorerst unerfüllt bleiben.

 

Im Anschluss hatten wir einen Termin in der deutschen Botschafter. Im stark gesicherten Botschaftsgebäude trafen wir uns mit dem stellv. Botschafter Alexander Jung. Wir sprachen mit ihm über die Arbeit als Botschafter und diskutierten über die deutsche Sicht auf den Balkan. Dabei ließen wir die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung nicht unhinterfragt. In der Bewertung des Projekts der ungarischen Regierung, einen Grenzzaun gegen den „unkontrollierten Zustrom“ der Geflüchteten zu errichten und der Einstufung der Westbalkanländer als sichere Herkunftsländer durch die Bundesrepublik traten dabei deutlich unterschiedliche Auffassungen zu Tage.

 

Schließlich nahmen wir noch an einer Stadtführung mit dem Historiker Milan Radanović Teil. Wir sahen die Gebäude, in denen früher Gestapo und Staatspolizei residierten und besichtigten Orte des Widerstands. Als besonders eindrücklich empfand ich das Denkmal für die Erhängten auf dem zentralen Terazije-Platz. Auf jeder Seite der vielbefahrenen Kreuzung waren in der Nacht zum 17. August 1941 fünf Kommunisten erhängt und dann der Belgrader Öffentlichkeit präsentiert worden. Die Besatzer und ihre serbischen Kollaborateure wollten damit die nach zahlreichen Anschlägen und Sabotageakten wankende Allmacht der Besatzer nach außen restaurieren und die Kampfmoral der Besatzungstruppen stärken. Heute erinnert eine große schwarze, ovale Stehle an die Tat. Auf ihr wird reliefartig die Erhängungsszene dargestellt. Daneben finden sich zudem die Worte des serbischen Dichters Vasko Popa: „Sagt den Landräubern, sie sollen unter diesem unseren Stern keine Früchte des Todes mehr säen, denn von den Früchten werden sie aufgefressen werden“.

 

Besonderes Augenmerk richteten wir auch auf die Befreiung Belgrads. Während der verlustreichen Kämpfe im Oktober 1944 standen sich ca. 20.000 Partisanen und 10.000 – 15. 000 Wehrmachtssoldaten in der Stadt gegenüber. Am Beispiel des sogenannten albanischen Hochhauses erfuhren wir, wie dabei um jedes Haus und sogar jedes Stockwerk erbittert gekämpft wurde.

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