Die steinerne Blume

Am Donnerstagmorgen verließen wir Belgrad und machten uns mit einem gemieteten Bus auf den Weg nach Zagreb. Ungefähr eine Stunde nachdem wir die kroatische Grenze passiert hatten, erreichten wir das Zwischenziel unserer Reise, das ehemalige Konzentrationslager Jasenovac. Nahe dem Dorf Jasenovac befand sich von 1941 bis 1945 das größte Konzentrations- und Vernichtungslager im faschistischen unabhängigen Staat Kroatien (NDH), eines der größten in ganz Europa. Nach dem Vorbild deutscher Konzentrationslager von den Ustascha-Faschisten konzipiert, wurde es wegen seiner Größe auch „Auschwitz des Balkans“ genannt. Heute befindet sich an dem Ort des ehemaligen Stammlagers eine Gedenkstätte. Zum Weiterlesen klicken sie bitte auf mehr lesen... 

Auch hier ist von dem eigentlichen Lagerkomplex nicht viel erhalten geblieben. Nährt man sich dem ehemaligen Lager von der Zufahrtsstraße, kommt ein moderner zweigliedriger Flachbau in den Blick, indem sich das Besucherzentrum und Museum befinden. Die beiden Gebäudeteile sind durch eine Art modernen Kreuzgang miteinander verbunden, der die Blickachse freigibt auf ein weites Feld, das zur einen Seite von der Landstraße und zur anderen Seite vom Fluss Save begrenzt wird. Die Schönheit der Landschaft steht dabei in einem nur schwer erträglichen Gegensatz zur Geschichte des Areals. Auf einem Hügel ragt von zwei unregelmäßig geformten Teichen umrahmt eine große weiße Stahlbetonblume in den Himmel. Das von Bogdan Bogdanović entworfene und 1966 eingeweihte Denkmal erinnert an die Opfer des Konzentrationslagers, wobei jeder der Opfergruppen symbolisch ein Blütenblatt gewidmet wurde. Über dem Gelände liegt Stille, die kaum einmal von Besuchergruppen gestört wird. Nach dem Untergang des sozialistischen Jugoslawiens gingen die Besucherzahlen von ungefähr 400.000 im Jahr auf nur noch 10.000 zurück.

Vom Besucherzentrum aus erreicht man das Mahnmal über einen Holzweg, der aus Zugschwellen gefertigt zu sein scheint. Auf der Seite des Flusses befinden sich denn auch tatsächlich Schienenreste. Auf ihnen steht eine ausrangierter Dampflock mit Viehwagen, die den Besucher_innen zeigt, wie die Gefangenen in das Lager geschafft wurden. Über das weite Feld verstreut, finden sich immer wieder kleine Erhebungen, Hügel und Dämme. Sie stehen für die Baracken, in denen einst mehr als 4000 Lagerinsassen ihr Dasein fristen mussten. Die Ustascha-Faschisten unter Ante Pavelic internierten hier ethnische Serben, Juden, Roma und Oppositionelle. Sie wurden zunächst zur Zwangsarbeit in den Tongruben und nahegelegenen Fabriken gezwungen, um später auf bestialische Weise ermordet zu werden. Anders als im KZ Staro Sajmište wurde das Lager Jasenovac ausschließlich von Kroaten, ohne deutsche Beteiligung, verwaltet und die Tötungen in ihrer Verantwortung durchgeführt. Der erste Kommandant des Lagerkomplexes, General Vjekoslav Luburić, war zur Ausbildung in Sachsenhausen gewesen und hatte dort intensiv die Möglichkeiten industriellen Tötens studiert. Anders als in den deutschen Konzentrationslagern standen den kroatischen Schlächtern allerdings keine Gaskammern zur Verfügung. Zunächst wurden die meisten Lagerinsassen daher durch systematische Erschießungen ermordet. Später kamen Messer, Hacken, Beile und Äxte zum Einsatz. Um das massenhafte Töten effektiver zu gestalten, wurde eigens ein spezieller Lederhandschuh entworfen, an dessen Ende sich eine 12 cm lange Klinge befand. Der sog. Srbosjek (deutsch „Serbenschneider“) ist noch heute Symbol für die unvorstellbaren Schrecken des Lagers.

Nach den Tötungen wurden die Leichen über den Fluss Save geschafft und dort in Massengräbern verscharrt. Die Gräberfelder befinden sich heute auf dem Staatsgebiet von Bosnien-Herzegowina, das an dem Ort Donja Gradina eine eigene Gedenkstätte betreibt. Wie viele Menschen in Jasenovac letztlich ermordet wurden, ist nach wie vor unsicher und politisch hochumstritten. Während der Jugoslawienkriege wurde das Gebiet von Serbien erobert, das es von 1991 bis 1995 besetzt hielt. In den kriegerischen Auseinandersetzungen nahm auch das Denkmal Schaden. Mit Beginn des Krieges wurde neben dem eigentlichen Schlachtfeld ein zweites eröffnet. So musste vor allem die Geschichte als Legitimationsgrund und Rechtfertigung für den Krieg herhalten und wurde Schauplatz der nationalstaatlichen Auseinandersetzung. Davon hat sich die kroatische wie serbische Geschichtsschreibung bis heute nicht vollständig erholt. Dies findet seinen Ausdruck nicht nur in den Streitigkeiten um die neukonzipierte Ausstellung aus dem Jahr 2006, sondern auch im steten Ringen um die historisch richtige Opferzahl. Während von serbischer Seite mindestens 100.000, nach einigen Schätzungen sogar bis zu 700.000 Opfer angenommen werden, geht die kroatische Seite von 70.000 aus. Kroatische Nationalisten und auch der frühere Präsident Franjo Tudjman vertraten dagegen eine deutlich niedrigere Zahl von „nur“ 30.000 Opfern. Realistischer Weise ist wohl von 80.000 – 130.000 Toten auszugehen. Aber gleichgültig wie viele Opfer das KZ Jasenovac tatsächlich forderte, die Gräuel des Lagers waren unvorstellbar. Und auch wenn die unmittelbaren Täter keine Deutschen gewesen waren, hat nur die Unterstützung und Hilfe des nationalsozialistischen Deutschlands das Töten möglich gemacht. Wir ehrten die Opfer des Lagers durch einen Kranz. 

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