Gemeinsames politisches Wirken und leben

Reina W.-M. arbeitete als Gehilfin eines kommunistischen Abgeordneten der Französischen Nationalversammlung im Wahlkreisbüro des Pariser 19. Bezirks. Am 16.10.1939 wurde sie durch die Sicherheitspolizei (Suretè) verhaftet und kam daraufhin in das berüchtigte Frauengefängnis "La Petite Roquette". Im Anschluss wurde sie in das Fraueninternierungslager Rieucros in Südfrankreich verlegt.

 

Ernst M. wurde nach Aufbruch des zweiten Weltkrieges im September 1939 im Stade Colombes (Sportstadion Paris) interniert, konnte aber seine Entlassung bewirken und damit illegal weiterarbeiten. Am 14.5.1940 wurde er bei einer Militärrazzia verhaftet und Anfang Juni in Tence (Haute Loire) in einer leerstehenden Textilfabrik arretiert. Angesichts des Vormarsches der deutschen Truppen floh er zusammen mit anderen deutschen Antifaschisten am 18.6.1940 - ein zehntägiger Fußmarsch folgte. Mit Hilfe des niederländischen Konsuls in Toulouse konnte die Freilassung Reinas aus Rieucros bei den Behörden durchgesetzt werden. 

 

Seit Anfang Juli 1940 wirkte Ernst beim Aufbau der deutschen Widerstandsorganisation "Travail Allemand" mit. Damit einhergehend, nahmen Reina Kontakte zur Résistance und zu polnischen und jüdischen kommunistischen Widerstandsgruppen auf. In der Organisation wurden Flugblätter und Klebezettel hergestellt und an deutsche Soldaten verteilt. Um die Stimmungslage zu erfassen, stellte die Gruppe 1941 u.a. Kontakt zur deutschen Besatzung des Flughafens von Toulouse her. 

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion arbeitet auch Reina in "Travail Allemand" mit. Neben der bereits genannten Arbeit registrierte sie die Wachablösung und Rundgänge der Wachmannschaften der von den deutschen Truppen besetzten Betriebe. So u.a. in den ONI Chemieunternehmen, Sprengstofffabrik, Flugzeugwerk. 

 

Am 8.2.1942 wurde der gemeinsame Sohn François geboren. Der niederländische Konsul veranlasste, dass das uneheliche Kind die niederländische Staatsangehörigkeit erhielt. 

 

Nach der Besetzung der "weißen Zone" in Südfrankreich durch die faschistische Armee unternahm Reina den Transport von illegalen Drucksachen mit Hilfe des Kinderwagens. Im Juli (Lebenslauf Mai) 1943 wurde die Mutter mit Sohn verhaftet und in das Konzentrationslager Noë bei Toulouse gebracht. Deutsche und französische Widerstandskämpfer halfen Reina bei der Flucht. Die Schweizer Kinderhilfe veranlasst die Freilassung des Sohnes unter der Bedingung, dass er in ein Kinderheim in Annemasse unter Kontrolle der Präfektur kam. 

 

Ernst, der in Toulouse und später in Lyon illegal lebte, gab gemeinsam mit einer deutschsprachigen Widerstandsgruppe ab 1942 die illegale Zeitung "Soldat am Mittelmeer" bzw. "Soldat am Atlantik" heraus. Nach der Gründung des Nationalkomitees "Freies Deutschland für den Westen" 1943 gaben sie zudem die Zeitungen "Unser Vaterland", "der Ausweg", sowie zahlreiche Flugblätter heraus. Darüber hinaus pflegte er Kontakt zu Soldaten in Zügen von Lyon nach Carcassonne oder Biaritz - dies war durch einen Ausweis als Handelsagent für die Hamburger Spetitionsfirma Schenker&Co. möglich. 

 

Mit neuen Identitätspapieren reiste Reina in das Departement Aude. Nach mehreren Zwischenstationen konnte sie bei Dr. Dertheil in Carcassonne unterkommen. Dieser war Oberst und Aktivist in der von Charles de Gaulle gegründeten Widerstandsorganisation. In seiner Klinik wurde ihr zweiter Sohn Charles André geboren. Auch in Carcassonne arbeiteten sie weiterhin illegal, verteilten Flugblätter und hielten Verbindung zu einem Nachrichtensoldaten, der ihnen die wichtigsten Mitteilungen über die Résistance übermittelte. 

 

 

Nach der Befreiung von Lyon am 3.9.1944 holte Ernst Reina und Charles aus Carcassonne nach Lyon. François konnten sie erst nach bürokratischen Schwierigkeiten Ende Oktober aus Annemasse abholen. Eine wichtige Arbeit in dieser Zeit war die Herausgabe einer zentralen antifaschistischen Lagerzeitung für deutsche Kriegsgefangene in Südfrankreich. 

 

Im März 1945 kehrte die Familie nach Paris zurück. Dort übernahmen sie bis zum Verbot die Redaktion der Zeitungen "Freies Deutschland" sowie "Volk und Vaterland". Danach bekamen sie den Auftrag die Redaktion von drei antifaschistischen Zeitungen für etwa 60.000 Kriegsgefangene zu übernehmen. Beauftragt wurden sie vom CGT, dem allgemeinen Gewerkschaftsbund Frankreich). 

 

 

Literatur:

 

1. Résistance. Erinnerungen. Zusammengestellt und bearbeitet von Dora Schaul. Berlin 1973;

2. Karlheinz Pech: An der Seite der Résistance. Zum Kampf der Bewegung „Freies Deutschland“ für den Westen in Frankreich (1943–1945). Berlin 1974;

3. Franz Dahlem: Am Vorabend des zweiten Weltkrieges. Erinnerungen. Berlin 1977.

4. Ulla Plener (Hrsg.): Frauen aus Deutschland in der französischen Résistance. Eine Dokumentation. 2. durchgesehene, korrigierte und ergänzte Aufl. Berlin 2006;

5. Mechtild Gilzmer: Fraueninternierungslager in Südfrankreich. Rieucros und Brens 1939–1944. Berlin 1994.

6. Stefan Doernberg: Im Bunde der Feinde. Berlin 1995.

 

7. Gottfried Hamacher unter Mitarbeit von André Lohmer, Herbert Mayer, Günter Wehner und Harald 8. Wittstock: Gegen Hitler. Deutsche in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“. Kurzbiographien. Berlin 2005.

 

 

Berlin, August 2009

Charles und François Melis

Für Hinweise zu den Biografien: mail@drafd.de

überarbeitet am 16.1.2016