Ich habe auf dieser Reise viel Neues gelernt und durfte viele tolle Menschen kennen lernen. Auch werde ich sicherlich noch einige Zeit brauchen, um alles Gesehene und Gehörte zu verarbeiten. Dabei ist die Geschichte und Gegenwart der Balkanländer natürlich viel zu kompliziert und widersprüchlich, um sie in nur einer Woche zu durchdringen. So läd unsere Studienreise vor allem auch zur weiteren Beschäftigung mit einer Region ein, die uns in vielem näher ist, als wir auf den ersten Blick glauben mögen. Doch bei aller angebrachten Demut vor der komplexen Materie kristallisiert sich eine Erkenntnis heraus.
Geschichte ist nie zu Ende und kann nicht zu den Akten gelegt werden. Dies gilt insbesondere für die Zeit des deutschen Faschismus und des zweiten Weltkriegs. Gerade die Entwicklungen der 90er Jahre im ehemaligen Jugoslawien lehren uns, wie unterschiedliche Sichtweisen auf die Vergangenheit in fataler Weise Gegenwart und Zukunft beeinflussen können.
Für uns heißt das, um einer friedlichen Zukunft Willen, in unserem Kampf gegen das Vergessen und die richtige Sicht auf die Geschichte nicht nachzulassen. Dafür hat mir unsere Reise wieder neuen Mut gemacht.
„Die Unterschiede zwischen Serben und Kroaten sind winzig und irrelevant“, lies uns Milorad Pupovac gegen Ende unseres Gesprächs wissen, nur leider gäbe es Kräfte, die großes Interesse daran hätten, Unterschiede erst zu produzieren und damit Ängste zu schüren. Und fragt man den Vorsitzenden des serbischen Nationalrats nach der Stärke dieser Kräfte, so erwidert er konsterniert, dass sich diese seit dem EU-Beitritt Kroatiens wieder im Aufwind befänden. Und er warnt weiter: „Kroatien könnte das passieren, was Ungarn passiert ist“ Milorad Pupovac weiß, wovon er spricht. Als Mitglied der Sabor, des kroatischen Parlaments, und als Vorsitzender des serbischen Nationalrats setzt er sich für die Bürgerrechte und kulturellen Belange der serbischen Minderheit in Kroatien ein. Dafür erntet er ständige Kritik der kroatischen Rechten. In unserem Gespräch beschrieb er eindrücklich die Situation der Serben im heutigen Kroatien und warnte vor dem aufkommenden Geschichtsrevisionismus, der insbesondere in der Verherrlichung des Ustaschaa-Regimes seinen Ausdruck findet. Hier hat in den letzten Jahren ein erschreckendes geschichtspolitisches Rollback stattgefunden. Besonders deutlich wird dies in der Forderung prominenter Pettitenten aus kroatischer Wissenschaften, Kirche und Zivilgesellschaft, die sich unter teils lautem öffentlichen Zuspruch für die Einführung des früheren Ustaschaa-Grußes „Za dom spremni!“ („Für die Heimat bereit“) als offiziellen Gruß der kroatischen Armee einsetzen.
Wie auch in Belgrad nahmen wir in Zagreb an einer besonderen Stadtführung teil. Wir stürzten uns nicht auf die vordergründigen touristischen Highlights der Stadt, von denen Zagreber Ober- und Unterstadt sicherlich reich sind, sondern wurden von jungen Antifaschist_innen an die Orte des Terrors und des Widerstands zur Zeit des Ustascha-Kollaborationsregimes geführt. An diese erinnert heute nicht mehr viel, wären da nicht gelegentlich angelaufene Messingtafeln aus Zeiten des sozialistischen Jugoslawiens, die an einigen Häusern die Geschichte ihrer früheren Bewohner erzählen würden. So sahen wir das Haus, indem das Zentralkomitee der kommunistischen Partei ihr erstes Treffen im Widerstand abhielt. Wir erfuhren, dass am heutigen Obstmarkt 1942 ein von hungernden Frauen geführter erster Aufstand gegen das Ustascha-Regime gewagt wurde und wurden auf den Sitz eines ehemaligen Partisanensenders aufmerksam gemacht. Auch das Gestapohauptquartier in der Zagreber Innenstadt ist noch gut erhalten. Es beherbergt heute das kroatische Verteidigungsministerium.
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Am Donnerstagmorgen verließen wir Belgrad und machten uns mit einem gemieteten Bus auf den Weg nach Zagreb. Ungefähr eine Stunde nachdem wir die kroatische Grenze passiert hatten, erreichten wir das Zwischenziel unserer Reise, das ehemalige Konzentrationslager Jasenovac. Nahe dem Dorf Jasenovac befand sich von 1941 bis 1945 das größte Konzentrations- und Vernichtungslager im faschistischen unabhängigen Staat Kroatien (NDH), eines der größten in ganz Europa. Nach dem Vorbild deutscher Konzentrationslager von den Ustascha-Faschisten konzipiert, wurde es wegen seiner Größe auch „Auschwitz des Balkans“ genannt. Heute befindet sich an dem Ort des ehemaligen Stammlagers eine Gedenkstätte. Zum Weiterlesen klicken sie bitte auf mehr lesen...
Der Mittwoch begann mit einer Führung durch das jüdische Museum von Belgrad, nur einen Straßenzug von unserem Hostel entfernt. Das Museum wurde bereits im Jahr 1948 gegründet und befindet sich in einem Gebäude, das vor der Zeit des Faschismus den sephardischen Juden Belgrads als Gemeinschaftshaus diente. Obwohl die Dauerausstellung noch aus Zeiten des sozialistischen Jugoslawiens stammt, hat sie bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. In dem großen Ausstellungsraum befinden sich hinter den großen Glasvitrinen faszinierende Exponate aus 2000 Jahren jüdischer Geschichte und Kultur aus dem gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. Damit wird der verbreiteten Reduzierung der jüdischen Geschichte auf ihren vermeintlichen Endpunkt, den Holocaust und die unvorstellbaren Opferzahlen, ein Panorama des gesamten jüdischen Lebens entgegengesetzt. Die ausgestellten Kultgegenstände, zeremoniellen Kleider, Kunstwerke und persönlichen Zeugnisse, berichten eindrücklich vom Reichtum und der Vielfalt jüdischen Lebens, welche durch die Nationalsozialisten und ihre Kollaborateure unwiederbringlich zerstört wurden. So lassen sie die Gräuel der nationalsozialistischen Verbrechen dann auf den zweiten Blick umso deutlicher hervortreten. Zum Weiterlesen klicken sie bitte auf mehr lesen...
Es ist ruhig in Staro Sajmište. Zwischen heruntergekommenen länglichen Wohngebäuden spannen Leinen, auf denen die Kleider der Bewohner in der Sonne trocknen. Auf der Freifläche in der Mitte der Wohnblocks steht das Gras zu beiden Seiten hoch. Hier parkt ein weißer LKW und finden Hühner Auslauf. Einige der Mieter, die vor ihren Wohnungen auf weißen Plastikstühlen sitzen, beobachten die deutsche Reisegruppe argwöhnisch. Überragt wird die Szenerie von einem alten Turm, vielleicht ein Sendeturm, in der Mitte des Geländes. Vom ihm bröckelt der Putz, die Fenster auf Bodenhöhe sind eingeschlagen und mit Spanplatten nur notdürftig verstärkt. Ringsum liegen unfertige, verwitterte Figuren, eigentümlich verformte Metallgegenstände und bemalte Stellwände, sodass der Turm auf den flüchtigen Betrachter den Eindruck einer lange verlassenen Requisitenwerkstatt macht.
An das Konzentrationslager Staro Sajmište in dem 6500 Juden, 650 Roma und 1000 Partisanen den Tod fanden, erinnert heute wenig. Zum Weiterlesen klicken sie bitte auf mehr lesen...
Schon auf dem ersten Stück Weg, das wir in unseren Taxis vom Flughafen zu unserer Unterkunft zurücklegten, spürten wir die besondere Faszination Belgrads. Von der Neustadt mit ihren alternden
Hochhausbauten kommend, überquerten wir die Save und erreichten das historische Stadtzentrum. Dieses wird, oberhalb des Zusammenflusses von Save und Donau, von einer gewaltigen mittelalterlichen
Festungsanlage überragt. Die Stadt sah slawische Despoten, ottomanische Sultane und die Habsburger Kaiser der k. u k. Monarchie kommen und gehen, überlebte deutsche Besetzung und erbitterten
Befreiungskampf genauso, wie das 79 Tage währende Nato-Bombardement während der Serbienkriege. Über die Verwerfungen, die diese wechselvolle Geschichte, gerade im 20. Jahrhundert, im Stadtbild
hinterlassen hatte, sollten wir in den kommenden Tagen noch Näheres erfahren.
Dabei ist „das Tor zum Balkan“, EU-Mitgliedschaft hin oder her, stets eine europäische Metropole geblieben. Dafür mag schon die unerwartet Nähe zum sogenannten Kerneuropa sprechen. Mit dem Flieger von München erreicht man die serbische Hauptstadt in etwas mehr als einer Stunde. Trotzdem sahen wir in der Stadt neben Vertrautem und Bekannten auch einiges Fremde, Aus-der-Zeit- Gefallene. Diese Mischung aus Altbekanntem und Neu-zu-Entdeckendem machte für mich den besonderen Reiz Belgrads aus. Zum Weiterlesen klicken sie bitte auf mehr lesen...